fiction in between: interview

mit Fabrice Ramalingom und Saskia Hölbling
von Maxime Fleuriot


Wie und wann habt ihr euch kennengelernt?

Fabrice: Vor drei Jahren. Wir spielten beide in einem Stück von Benoît Lachambre ("Lugares Communes"). Die Chemie hat gewissermaßen sofort gestimmt. 

Saskia: Wir waren etwa zehn Tänzer, sobald Benoît uns aufforderte, zu zweit zu improvisieren, fanden wir beide, ohne es zu wollen, immer zueinander. Besonders gefallen hat mir an diesen improvisierten Duos mit Fabrice, dass ich das Gefühl hatte, dass wir uns nie in eine Mann/Frau-Konstellation begaben. Die Frage des Geschlechts spielte keine Rolle, war überholt. Und das strebe ich auch in meiner eigenen Arbeit an. Ich versuche, mich von männlichen und weiblichen Stereotypien zu befreien, die uns die Gesellschaft unablässig aufzudrängen versucht.

Warum dieses gemeinsame Stück?

Fabrice: Einerseits bestand der Wunsch, der Freude über unsere Begegnung Dauer zu verleihen. Und seit der Gründung meiner neuen Compagnie R.A.M.a habe ich Lust, meine kreativen Ansätze und Produktionsmethoden zu hinterfragen und zu verändern, eine andere Logik zu entwickeln, insbesondere auch außerhalb Frankreichs zu arbeiten. Ich hatte einfach Lust, dieses menschliche Abenteuer, das meine Arbeit für mich ist, anders auszuleben.

Saskia: Da wir beide in unser jeweiliges Umfeld gut integriert sind, hatten wir Lust, unser Wissen und unsere Ressourcen sowohl in künstlerischer als auch produktionstechnischer Hinsicht (Mitarbeiter, Programmgestalter …) zusammenzuführen. Um stärker zu sein. Auch ich hatte Lust auf Veränderung, Lust, aus den Bahnen auszubrechen, in denen ich mich mit meiner eigenen Compagnie bewege.  

Was war euer künstlerischer Ansatz?


Fabrice: Die Lust am Tanzen!

Saskia: Und die Lust, als Duo aufzutreten, das die Klischees vermeidet, die zwangsläufig auftauchen, sobald ein Mann und eine Frau im Spiel sind: das Paar, die Liebesgeschichte … Wir haben versucht, all das zu umgehen, indem wir einen Raum schufen, der für alle Möglichkeiten, Delirien, Phantasmen offen ist.
   
Ihr bringt einige sehr starke Zeichen auf die Bühne (Catsuits, Halsketten ...). Diese erwecken bei den Zuschauern natürlich Fantasien und Projektionen ... 

Saskia: Interessant erscheint mir an diesen Catsuits insbesondere, dass das Verschwinden der Individualität genügend Leere erzeugt, die dem Zuschauer Projektionen ermöglicht. Besonders die Materialien des Catsuits und des Colliers evozieren und fördern in höchstem Maße Projektionen, einschließlich phantasmagorischer.

Fabrice: Wir haben diese Catsuits in einem Sex-Shop gekauft, wissen also sehr gut, dass sie mit sexuellen Konnotationen befrachtet sind und ein Phantasma schaffen. Mich persönlich packt dieses Bild der beiden Körper, die völlig verhüllt sind – ein Collier um den Hals. Ich finde das gleichzeitig schön und schrecklich aufgrund der Ketten, die den Hals umschlingen. Das stellt mein Schönheitsideal infrage.
 
Inwiefern schreibt sich "fiction in between" in eure jeweilige Arbeit ein?

Saskia: Ich habe vor einigen Jahren ein Stück gemacht, "other feature", das einen Wendepunkt in meiner choreografischen Laufbahn darstellte. Auf der Bühne waren vier nackte Frauen zu sehen, aber man sah vor allem „wesenhafte Körper“, ohne Gesichter, ohne Gesten. Das ermöglichte mir, die Frage zu präzisieren, die mich interessiert: Was bleibt von der Individualität des Einzelnen, wenn man alle Zeichen gesellschaftlicher Zuordnung entfernt? Und ist auch ein Versuch, einen anderen Blick auf den Körper zu werfen, der die Codes und Stereotypien des täglichen Lebens durchkreuzt. Ich habe diese Arbeitsmethode in meinen letzten Stücken weiterentwickelt, indem ich diesen „wesenhaften Körper“ in unterschiedlichen Kontexten situierte. Diese waren manchmal sehr abstrakt, puristisch, manchmal weniger, wie etwa in meinem Solo Jours Blancs oder wie jetzt in "fiction in between". Der „Kontext“ ist für mich eine Möglichkeit, meine Auseinandersetzung mit dem „wesenhaften Körper“ zugänglicher zu gestalten. In "fiction in between" sind die Phantasmen, die Erotik, die Sexualität – Themen, die uns alle beschäftigen – der Kontext, der Zugang.

Fabrice: Meine Herangehensweise ist nicht so weit entfernt von Saskias Idee eines wesenhaften Körpers, aber die Umsetzung ist eine andere. Ich versuche in meiner Arbeit, die Emotion, die ich empfinden kann, wenn ich jemanden nur anschaue, zu vermitteln. Genauer gesagt das, was ich aus dem Körper und dem Verhalten einer Person ablesen kann, und auch das, was sich entzieht: eine Fragilität, eine Kraft, eine Menschlichkeit – aber auch Gewohnheiten oder körperliche Muster, die die Individualität ausmachen. Das versuche ich aufzuzeigen und in meinem Stück Postural: Études zu thematisieren, in dem ich fünfzehn Männer unterschiedlichen Alters choreografisch porträtiert habe. Die Emotion, die ich meine, überträgt sich im Allgemeinen durch die Betrachtung des Gesichts, der Hände, des Körpers. "fiction in between" ermöglichte mir, dem nachzuspüren, was passiert, wenn man die Haut völlig verhüllt. 

Ihr führt im Laufe des Stücks zwei sehr markante Accessoires ein: eine Mütze und eine blonde Perücke. Geht es dabei um Fragen des Geschlechts?

Saskia: Wir spielen offensichtlich damit. Aber ich glaube, eigentlich geht es darum, dass diese stereotypen Zeichen Projektionen auf einer anderen Ebene zulassen. Das entspricht dem Spiel mit den Phantasmen. Am Ende des Stückes werden die Accessoires – Mützen, Perücken, Stiefel – aus dem Haufen geschleudert, unter dem unsere Körper verschwunden waren. Auch die Körperteile – Beine, Arme … – werden hinausgeschleudert und werden dadurch zu simplen Accessoires. Das bedeutet einfach, dass alles ein Element des Phantasmas ist. Daran gefällt mir besonders, dass diese Dekonstruktion von einem Haufen ausgeht, der ebenfalls ein Phantasma ist (das Versteckte, das Gestaltlose …). Man dekonstruiert das Phantasma, indem man es erweitert.

Was empfindet ihr als Interpreten, wenn ihr von Kopf bis Fuß in Catsuits steckt?

Fabrice: Das ist eine sehr seltsame Erfahrung. Ich habe das Gefühl, alle meine Anhaltspunkte zu verlieren, von meinen gewohnten Empfindungen völlig abgeschnitten zu sein. Maryse Gautier hat dieses Zögern, diesen Zustand der Unschärfe durch ihre Arbeit mit dem Licht übrigens sehr gut wiedergegeben. Ich empfinde mich auch als Objekt, mit dem ich spielen kann.

Saskia: Für mich überwiegt vor allem der Eindruck, in eine andere Haut zu schlüpfen. Alles, was ich danach in dem Stück mache, löst unterschiedliche Empfindungen und Assoziationen aus. Das ist nicht mehr Saskia, auch nicht länger ein reiner „wesenhafter Körper“ … Das ist etwas anderes, etwas das sich zwischen Mann und Frau, zwischen Tier und Mensch bewegt.

Die Musik von Heinz Ditsch ist gleichsam omnipräsent. Wie kam es dazu?
 
Fabrice: Ausgangspunkt für die Musik war Saskias Stimme, die verändert, demateralisiert wurde. Mir ermöglicht das, eine Fantasiewelt zu betreten, eine Reise in das eigene Ich anzutreten.

Saskia: Damit das funktioniert, muss das ganze Stück vom Klang durchdrungen sein. Die Musik erzeugt nichts Konkretes, sondern ist vielmehr ein imaginärer Vektor. Eine Möglichkeit für den Betrachter, sich mit seinen eigenen Projektionen zu konfrontieren.